Russische Truppen bombardieren ukrainische Krankenhäuser, zerschießen Lebensmitteldepots. Täglich hört man von neuen Explosionen, in Sjewjerodonezk, in Charkiw, in Mariupol. Vor allem die ukrainische Region Donbass liegt unter heftigem Beschuss. Und während täglich Dutzende Menschen sterben, ihr Zuhause und Angehörige verlieren, verursachen Putins Angriffe noch etwas, das für Überlebende schwere Folgen haben wird: überflutete Steinkohlebergwerke. 

Seit der Angriffskrieg begonnen hat, beging Russland laut ukrainischem Umweltministerium bislang 607 Umweltverbrechen. Die ukrainische Umweltorganisation EcoAction zählt 300 Vergehen. Die Truppen würden Stahlwerke, Chemie- und Öllager angreifen, die nukleare Sicherheit gefährden und mit ihren Panzern Böden und Äcker zerstören. “Überprüfen kann man die Zahlen nicht. Wir können nur mutmaßen, weil wir keine Möglichkeit haben, vor Ort Untersuchungen durchzuführen”, sagt Anastasia Bushovska von der ukrainischen Umweltorganisation EcoAction. Sie hält sich zurzeit in Kiew auf. 

Anders ist es im Donbass. Hier herrscht seit 2014 Krieg, mittlerweile ist die Region zweigeteilt: Eine Seite wird von der ukrainischen Regierung, die andere von prorussischen Separatisten kontrolliert. So konnten ukrainische NGOs und deutsche Fachleute bereits untersuchen, wie sich der Krieg auf die Umwelt auswirkt. Das Ergebnis: Der Donbass ist besonders gefährdet. Das liegt an seinen zahlreichen Steinkohlebergwerken, die überfluten und giftiges Grubenwasser ans Tageslicht bringen. Um zu verstehen, woran das liegt, muss man sich zunächst anschauen, wie die Region unter Tage aufgebaut ist. 

“Der Donbass ist ein Spiegelbild des Ruhrgebiets”, sagt Carsten Drebenstedt. Er ist Professor für Bergbau und Tagebau an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg und war im Auftrag des Auswärtigen Amts Teil der Fachgruppe, die im Donbass die Umweltschäden ermittelte. Über die Region erstrecken sich Steinkohlebergwerke mit hunderten Schächten, die bis zu einem Kilometer tief in die Erde führen. Sie liegen weit unter dem Grundwasserspiegel, weshalb man das Wasser abpumpen muss, damit sie nicht volllaufen – „und das für immer“, erklärt Drebenstedt. Auch in den stillgelegten Schächten im Ruhrgebiet zählt dies zu den sogenannten Ewigkeitsaufgaben, es sind Folgelasten der Kohle-Ära.

Als der Krieg ausbrach, mussten viele Bergwerke im Donbass mitten im Betrieb schließen. In einigen Zechen funktionieren die Wasserpumpen zwar noch, in vielen allerdings nicht. “Wenn eine Pumpe ausfällt, können wir nicht mal eben hingehen und sie reparieren. Das wäre zu gefährlich”, sagt Carsten Drebenstedt. Hinzu kommt, dass im Krieg auch Stromleitungen nicht unversehrt bleiben. Und ohne Strom läuft keine Wasserpumpe. So wurden laut Drebenstedt bereits hunderte Bergwerke geflutet. Welche Folgen das hat, dokumentierte die ukrainische Menschenrechtsorganisation Truth Hounds in einem Report aus dem Jahr 2021. Dafür führte sie Felduntersuchungen durch, wertete Berichte aus und sprach mit Ingenieurinnen, Bergbauunternehmern und Zeuginnen.

Das Wasser steigt in den Schächten auf, bis es oben angekommen ist. Hinzu kommt, dass der Donbass, genauso wie das Ruhrgebiet, abgesenkt ist. In der Region förderte man über hunderte Jahre Kohle aus dem Erdreich. Diese Hohlräume führten dazu, dass der Boden absackt. So kommt es, dass der Donbass mittlerweile rund 20 Meter tiefer liegt als noch vor Beginn des Bergbaus. “Wenn nun immer mehr Wasser aus den Schächten strömt, haben wir irgendwann einen riesigen See anstelle einer bewohnbaren Region”, sagt Bergbau-Professor Drebenstedt. 

Das Wasser löst auf seinem Weg durch die Schächte zudem chemische Substanzen und Mineralien aus dem Gestein, passiert zwischengelagerte Abfälle und Maschinen mit altem Motoröl. “Dieses kontaminierte Wasser fließt ungefiltert in unsere Flüsse und Seen, beispielsweise in den Seweskyj Donez, den Hauptfluss des Donbass. Er ist die wichtigste Trinkwasserquelle für die Menschen vor Ort”, sagt Anastasia Bushovska von EcoAction. Eine Wasserprobe, die die Organisation Truth Hounds entnahm, überschritt jegliche chemischen Grenzwerte. Nur noch zehn Prozent der Frischwasserquellen in der Region seien unbedenklich. Und die Verschmutzung begrenzt sich nicht nur auf den Donbass. Der Seweskyj Donez fließt nach Russland in den Don, der wiederum im Asowschen Meer mündet.

Das giftige Wasser sickert auch in die Böden. Dies gefährdet die Landwirtschaft. Wachsen Pflanzen auf vergifteten Äckern, nehmen sie die Schadstoffe auf. Damit würden die Menschen nicht nur schädliche Substanzen trinken, sondern auch essen. Hinzu kommt, dass der Boden schlammiger und leichter wird. Untersuchungen von Truth Hounds ergaben, dass sich die Bodenoberfläche dadurch bereits verschoben hat. Durch Wände und Fundamente von Häusern ziehen sich bereits Risse.

All diese Auswirkungen waren absehbar, bevor der Krieg im Februar eskalierte. Nun müssen weitere Bergwerke schließen, viele werden nicht mehr zuverlässig mit Strom versorgt. Carsten Drebenstedt befürchtet, dass die Region nach dem Krieg unbewohnbar sein wird. Dörfer sind zertrümmert, das Trinkwasser ist vergiftet und Landwirtschaft kaum mehr möglich. Während also viele Ukrainerinnen und Ukrainer hoffen, nach Kriegsende wieder nach Hause zurückzukehren, wird es den Menschen aus dem Donbass nur schwer möglich sein.

Noch sei der Schaden aber reparabel, meint Drebenstedt. „Die Natur kann sich von selbst regenerieren. Zudem gibt es mittlerweile Technologien, mit denen wir nachhelfen können. All das braucht aber Jahrzehnte.“ So könne man mit Hochleistungslasern den Boden waschen. Diese erhitzen die Erde so stark, dass sich giftige Chemikalien in harmlose Bestandteile zerlegen. Damit sich die Natur erholen kann, dürfen allerdings keine weiteren Bergwerke überfluten. Dafür kämpfen Menschen wie Anastasia Bushovska schon jetzt. Sie berichtet von den ökologischen Kriegsfolgen, obwohl um sie herum noch Bomben landen. “Ich fordere Gerechtigkeit für die Menschen. Das schließt auch Gerechtigkeit für die Umwelt ein, in der sie leben. Dafür braucht es Konsequenzen und einen Plan, den wir jetzt erarbeiten müssen.”