Liebe Leserinnen und Leser,

wir sind zu langsam, Sie und ich und all die anderen, vor allem die Bevölkerungen der wohlhabenden Länder. Das besagt eine neue Studie: Das Ziel, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, die weltweiten CO2-Emissionen also bis 2030 zu halbieren, sei unrealistisch, heißt es darin. Physikalisch sei das durchaus zu machen, aber der notwendige soziale Wandel verlaufe viel zu schleppend.

Falls es Sie tröstet, auf der Anklagebank sitzen neben uns und unserem Konsumverhalten auch die Unternehmen, die mehrheitlich unbekümmert so weitermachen wie immer. Löbliche Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Medien spielen eine zwiespältige Rolle, teils bremsen, teils beschleunigen die Beiträge und Artikel zum Thema die Transformation.

Zehn gesellschaftliche Faktoren, die für den Klimaschutz bedeutsam sind, hat ein Team aus Natur- und Sozialwissenschaften im „Hamburg Climate Futures Outlook 2023“ untersucht: die UN-Klimapolitik, die Gesetzgebung zum Klimaschutz, Proteste, soziale Bewegungen, transnationale Initiativen, Klagen und Gerichtsurteile wie etwa der Beschluss der Bundesverfassungsgerichts vom April 2021, Konsumverhalten, Abzug von Investitionen aus der fossilen Wirtschaft, Wissensproduktion und Medien.

Bei den Sorgenkindern Wirtschaft und Kundschaft stoßen wir auf die alte Henne-oder-Ei-Problematik. Einerseits müssten Unternehmen auf neue Wünsche und geändertes Konsumverhalten reagieren, andererseits könnten sie mit klimaneutraler Wirtschaftsweise (nicht aber mit Greenwashing, versteht sich) und entsprechenden Produkten den Konsum in eine andere Richtung lenken.

Dazu ein kleiner Exkurs, der zeigt, wie es eben nicht laufen sollte: Seit Januar 2023 muss die Gastronomie neben Wegwerfverpackungen aus Plastik Mehrweglösungen als Alternative anbieten. Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) haben jedoch bei Testkäufen festgestellt, dass sehr viele To-go-Anbieter das nicht tun. Die DUH hat gegen einige bereits juristische Schritte eingeleitet. Allerdings wird Mehrweg auch nicht sehr stark nachgefragt – was wiederum daran liegen könnte, dass die Gastro-Betriebe nicht offensiv darüber informieren, wozu sie eigentlich verpflichtet sind.

Nun die Millionen-Euro-Frage: Wie lassen sich Verhaltensänderungen erreichen? Die kritische Masse für sogenannte soziale Kipppunkte, die zur Änderung sozialer Normen führen, liegt bei etwa einem Viertel der Bevölkerung. Der Kopf des Menschen ist aber eine ziemlich harte Nuss. Zunächst müsste mal jemand gründlich mit der Mär aufräumen, dass nur Daniel und Daniela Düsentrieb die Klimakrise aufhalten können. Technologische Innovationen allein – Batterien, Digitalisierung, smarte Geräte, Fahrzeuge und Häuser, synthetische Kraftstoffe, CO2-Rückholung aus der Atmosphäre oder gar Mondstaub zur Abkühlung: ohne sozialen Wandel alles ziemlich sinnlos. Damit die Sache in Schwung kommt, braucht es Kommunikation, Wissen, Vorbilder. Denn auch einzelne Personen können einen Unterschied machen, siehe Greta Thunberg.

Oder Innes FitzGerald. Die talentierte 16-jährige Langstreckenläuferin aus dem britischen Devon hat ihre Teilnahme an der Crosslauf-Weltmeisterschaft in Australien abgesagt. Begründung: Sie könne es mit Blick auf das Klima nicht verantworten, eine so weite Flugreise anzutreten und hoffe, dass weitere Athletinnen und Athleten sich über das Thema Gedanken machen würden. Das ist ihr nicht gerade erst eingefallen: Schon zur Europameisterschaft in Turin im Dezember reiste sie mit dem Zug.

Umsteuern ist natürlich auf allen Ebenen nötig, gerade jetzt. 2022 kamen in Deutschland 15,8 Millionen Tonnen zusätzliche CO2-Emissionen durch die gestiegene Kohleverstromung hinzu, eine Folge der Energiekrise. Das darf auf keinen Fall so bleiben – muss es auch nicht, denn laut Bundesnetzagentur ist die Versorgung auch bei einem Kohleausstieg bis 2030 gesichert. Wird es auch nicht, wenn es nach dem „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ geht. Im ehemaligen Braunkohlerevier Cottbus etwa haben sie offenbar Lust auf Zukunft. Sozialer Wandel? Aber gern!

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Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin