Der Norden Syriens verdorrt. Die Erderhitzung trifft die Region so hart wie kaum eine andere, gleichzeitig drosselt die Türkei den Zufluss des Euphrats, der Lebensader des Landes. Klimawandel und Konflikte bilden eine Doppelkrise, wie sie auf Millionen Menschen weltweit zukommen könnte

Müde thront der Energieminister der kurdischen Selbstverwaltung in seinem Büro im Kontrollgebäude des Staudamms, fünfzig Meter über dem Fluss. Durch das Fenster blickt Welat Darwisch auf die acht Schleusen, die einst Wasser in Schwällen ausspuckten und heute nur Rinnsale führen. Er flucht. „Der Krieg geht weiter, nur die Waffen haben sich geändert.“

Hier, am Euphrat-Damm am Stadtrand von Tabqa, der einst gebaut wurde, um den Norden Syriens mit Strom zu versorgen, ist die Zerstörung des letzten Krieges noch zu sehen, da deuten sich bereits neue Konflikte an. Denn während Arbeiter das Dach des monströsen Sowjetbaus reparieren, das die Fliegerbomben der Internationalen Allianz 2017 im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat zerfetzten, sinkt der Wasserpegel des Stausees immer weiter.

<p>MANGELVERWALTER Welat Darwisch ist Energieminister der kurdischen Selbstverwaltung. Seiner Meinung nach führt die Türkei einen Wasserkrieg gegen sein Land.</p>

MANGELVERWALTER Welat Darwisch ist Energieminister der kurdischen Selbstverwaltung. Seiner Meinung nach führt die Türkei einen Wasserkrieg gegen sein Land.

Um sechs Meter ist er allein in den vergangenen drei Jahren zurückgegangen. Von den acht Turbinen, die der IS vor seinem Abzug zerstört hatte, sind vier wieder intakt, doch nur zwei können arbeiten. Früher habe das Kraftwerk 340 Megawatt pro Stunde für die umliegenden Städte produziert, sagt Darwisch, inzwischen seien es nur noch 125 Megawattstunden. „Die Menschen in Hassakeh im Osten des Landes hatten zuvor acht bis zwölf Stunden Strom am Tag. Heute sind es vielleicht ein oder zwei.“ Auch das Trinkwasser und das Wasser für die Felder werde knapp. Der Euphrat droht auszutrocknen – und mit ihm der ganze Nordosten Syriens.

<p>MIT VIERTEL KRAFT VORAUS Acht Turbinen gibt es im Inneren des Staudamms, um Strom zu produzieren. Vier sind betriebsfähig – zwei laufen. Das Wasser fehlt.</p>

MIT VIERTEL KRAFT VORAUS Acht Turbinen gibt es im Inneren des Staudamms, um Strom zu produzieren. Vier sind betriebsfähig – zwei laufen. Das Wasser fehlt.

Dabei war Mesopotamien, das Land zwischen den Strömen Euphrat und Tigris, das als Wiege der Zivilisation gilt, einst für seine Fruchtbarkeit bekannt. Bis vor wenigen Jahren hat Syrien hier die Hälfte seines Getreides geerntet und den Großteil seiner Baumwolle. Jetzt wird die Not mit jedem Jahr sichtbarer.

Da sind die Wassertrucks in Hassakeh, die morgens zu Hunderten in die Stadt drängen. Da sind die gurgelnden Pumpen, deren Rohre wie gierige Giraffenhälse zum Fluss Khabur herabreichen, um fauliges Wasser anzusaugen und auf die Felder zu spucken. Da sind Fischer am Euphrat, die klagen, der Fang falle immer dürftiger aus. Und da sind die wasserleeren Stauseen, die aussehen wie Vulkankrater, in denen Hirten ihre Schafe grasen lassen.

Im Norden Syriens lässt sich beobachten, was auf viele Regionen der Welt zukommen könnte. Was passiert, wenn sich die Klimakrise und politische Konflikte überlagern. Wenn Kriege um Wasser geführt werden – und mit Wasser.

<p>LEBEN MIT DER DÜRRE Die Kanäle in der Region Hassakeh, aus denen die Landwirte Wasser auf ihre Felder leiten, fallen immer häufiger trocken</p>

LEBEN MIT DER DÜRRE Die Kanäle in der Region Hassakeh, aus denen die Landwirte Wasser auf ihre Felder leiten, fallen immer häufiger trocken

Denn es sind nicht nur die Temperaturen von oft mehr als vierzig Grad und die immer heftigeren Dürren, die den Menschen zusetzen. Es sind auch die Folgen des zwölfjährigen Krieges, die die Wasserinfrastruktur in Syrien zerstört haben - und der schwelende Konflikt mit dem Nachbarn, der Türkei. Dabei geht es um Grundwasserquellen und Flüsse, allen voran um den Euphrat, der in der Türkei entspringt und quer durch Syrien und den Irak fließt, bevor er mit dem Tigris in den Persischen Golf mündet. 22 Dämme hat die Türkei in den vergangenen Jahrzehnten an Euphrat und Tigris gebaut, um das Wasser für sich zu nutzen. Der größte von ihnen am Euphrat, der Atatürk-Damm, fasst beinahe fünfzig Kubikkilometer.

Damit es nicht zu Engpässen kommt, hatten Syrien und die Türkei 1987 ein Abkommen geschlossen: Die Türkei verpflichtete sich, im Schnitt 500 Kubikmeter pro Sekunde nach Syrien durchzulassen - im Gegenzug sagte das Assad-Regime zu, der von der Türkei als Terrororganisation eingestuften kurdischen Widerstandsbewegung PKK in Syrien nicht länger Schutz zu gewähren. 36 Jahre später scheint der Deal nicht mehr zu gelten. Die Region im Norden und Osten Syriens, in der rund fünf Millionen Menschen leben, wird nicht mehr von Assad beherrscht, sondern von der kurdisch dominierten "Autonomen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien" (AANES). Deren militärische Einheiten sind Verbündete des Westens im Kampf gegen den IS. Gleichzeitig haben sie aus ihrer Nähe zur PKK nie ein Geheimnis gemacht. Auch Welat Darwisch nicht. Auf seinem Schreibtisch stehen zwei gerahmte Bilder des PKK-Mitgründers Abdullah Öcalan.

<p>UNGESTILLTES GRUNDBEDÜRFNIS Auch Trinkwasser ist knapp und wird nun mit Tankwagen in die Stadt gebracht</p>
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UNGESTILLTES GRUNDBEDÜRFNIS Auch Trinkwasser ist knapp und wird nun mit Tankwagen in die Stadt gebracht

 

Es ist eine Provokation für die Türkei. Sie greift den Nordosten Syriens unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung regelmäßig mit Drohnen an. Präsident Recep Tayyip Erdoğan, so scheint es, würde die Kurden lieber gleich als später fallen sehen. Und statt 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde aus dem Euphrat kommen in Syrien laut UN-Angaben nur noch rund 200 Kubikmeter an. „Es ist egal, ob sie den IS mit Waffen unterstützen, um uns zu bekämpfen – oder ob sie uns das Wasser sperren, sodass wir verdursten oder migrieren“, sagt Darwisch.

Weder das türkische Außenministerium noch die türkische Botschaft in Deutschland wollten auf Anfrage zu diesen Vorwürfen Stellung nehmen. Türkische Diplomaten hatten in der Vergangenheit bestritten, dass es sich um politische Maßnahmen im Kampf gegen die Kurden handelt. Stattdessen suggerierten sie, dass das Wasser im eigenen Land benötigt werde, um den Bauern zu helfen, denen die Klimakrise zusetze. Darwisch lacht und sagt: „Warum haben sie die Dämme nicht geschlossen, als hier der IS geherrscht hat?“ Und so steht Aussage gegen Aussage, überprüfen lässt sich die Motivation der Türkei, so wenig Wasser durchzulassen, nicht.

<p>AUSGELIEFERT Jawhar Mohammad Ali traut dem Wasser aus den Lastwagen nicht, ihre Enkel lagen kürzlich mit Cholera im Krankenhaus. Eine Wahl hat sie aber nicht</p>

AUSGELIEFERT Jawhar Mohammad Ali traut dem Wasser aus den Lastwagen nicht, ihre Enkel lagen kürzlich mit Cholera im Krankenhaus. Eine Wahl hat sie aber nicht

HASSAKEH

Vier Jahre ist es her, dass das Süßwasser aus Hassakeh verschwunden ist. Seitdem wurden Öltanker und Löschfahrzeuge zu Wassertrucks umfunktioniert und brechen nun jeden Morgen bei Sonnenaufgang zu den Bohrlöchern vor der Stadt auf, um ihre Behälter mit Wasser zu befüllen. Dann geht es von Haus zu Haus. 5000 Liter bekommt jede Familie pro Ration, ganz gleich, wie groß sie ist. Davon muss sie zehn Tage leben, manchmal drei Wochen. An einigen Tagen schmeckt das Wasser nach Chlor, an anderen Tagen bitter. So oder so, sagen die Leute, das Wasser mache sie krank.

„Es gibt nichts Schlimmeres, als seinen Enkeln kein sauberes Wasser bieten zu können“, sagt Jawhar Mohammad Ali, 41. „Ich fühle mich schuldig.“ Vor ihr auf dem Boden krabbeln die Zwillinge. Shahed und Falak, eineinhalb, schauen die Großmutter erwartungsvoll an. Wenn sie die Pausbacken der Kleinen zusammendrückt, quietschen sie. Dann huscht ein Lächeln über Jawhars Gesicht.

Sie zeigt ein Foto, das sie vor drei Monaten mit ihrem Handy aufgenommen hat. Shahed liegt in einem Krankenhausbettchen. Unter den halb geöffneten Augen dunkle Ringe, die Wangen eingefallen. Aus dem dünnen Arm ragt eine Infusion. Zwei Wochen waren die Zwillinge krank. Die Diagnose: Cholera. Sie sind nicht die Einzigen. Beinahe 100.000 Menschen sind seit letztem August erkrankt, fast die Hälfte davon im Nordosten des Landes. Auch die Zahl akuter Durchfälle und anderer wasserbedingter Krankheiten steigt laut Weltgesundheitsorganisation weiter an.

Es ist ein Symptom einer größeren Krise. Die Temperaturen in der Region steigen so schnell wie kaum irgendwo sonst. Eine Trockenphase wie in den letzten 25 Jahren hat der Nahe Osten mit Ländern wie dem Libanon, Israel, Jordanien und Syrien laut Nasa seit mehr als 900 Jahren nicht erlebt. Forschende gehen davon aus, dass die politisch und wirtschaftlich teils schwachen Staaten es schwer haben, sich anzupassen und die Folgen der Krise zu bewältigen.

<p>NOTVERSORGUNG In Hassakeh fließt kein Wasser mehr. Stattdessen lagert es in roten Tonnen, die überall in den Straßen und auf den Dächern der Häuser stehen</p>

NOTVERSORGUNG In Hassakeh fließt kein Wasser mehr. Stattdessen lagert es in roten Tonnen, die überall in den Straßen und auf den Dächern der Häuser stehen

Der Konflikt mit der Türkei verschärft die Lage zusätzlich. Als der Regen am Anfang des Jahrtausends in Hassakeh weniger wurde und der Fluss Khabur auszutrocknen begann, baute die syrische Regierung eine Trinkwasserpumpstation in Allouk, nahe der türkischen Grenze. 34 Brunnen, zwölf Pumpen. Bis vor vier Jahren versorgten sie rund eine halbe Million Menschen in der Region. 2019, drei Tage nach der Ankündigung der USA, den Großteil ihrer Truppen aus dem Nordosten Syriens abzuziehen, die dort im Kampf gegen den IS stationiert waren, überfiel die Türkei das Gebiet, in dem auch Allouk liegt. Erdoğan erklärte, eine dreißig Kilometer tiefe „Sicherheitszone“ einrichten zu wollen, als Puffer gegen kurdische Terroristen. Die Pumpstation ist seither von protürkischen Milizen besetzt. Der Wasserfluss nach Hassakeh wurde laut UN-Angaben bereits Dutzende Male unterbrochen, seit August 2022 ist das Wasser komplett blockiert, wie mehrere Quellen berichten.

Die Türkei macht dafür die kurdische Selbstverwaltung verantwortlich. Sie schicke nicht genug Strom, um die Pumpen zu betreiben, schrieb das türkische Außenministerium 2021 in einem Statement. Laut ehemaligen Mitarbeitern benötigt die Station fünf Megawatt pro Stunde, um 4000 Kubikmeter Wasser zu fördern. Energieminister Welat Darwisch sagt: „Wir haben in der Vergangenheit acht bis zehn Megawatt in die besetzten Gebiete geschickt. Der Strom wurde einfach abgezapft und gestohlen.“ Die Hoffnung ehemaliger Mitarbeiter, die Station unter den Schutz einer unabhängigen UN-Mission zu stellen, hat sich bislang nicht erfüllt.

<p>WASSERWIRTSCHAFT Die wichtigen Flüsse erreichen nicht alle Regionen in Syrien</p>

WASSERWIRTSCHAFT Die wichtigen Flüsse erreichen nicht alle Regionen in Syrien

„Wenn Erdoğan ein politisches Problem mit der Selbstverwaltung hat, dann soll er das direkt klären“, sagt Jawhar Mohammad Ali, die Großmutter der Zwillinge. „Aber stattdessen tötet er uns. Christen, Kurden, Araber, ganz egal.“ Sie selbst ist Araberin. Wie alle Menschen in Hassakeh ist ihre Familie auf die Wassertanks angewiesen. In manchen Vierteln bringen Hilfsorganisationen das Wasser, in manchen die Selbstverwaltung, andere werden von Privatleuten mit eigenen Lastern versorgt. Tausend Liter kosten 10.000 Lira, etwa zwei Euro. Der Tageslohn liegt in ihrem Viertel bei rund 15.000 Lira. „Die Leute haben angefangen, ihre Kinder zum Arbeiten zu schicken und nicht in die Schule, um sich Wasser leisten zu können.“

Bis heute weiß Jawhar nicht, warum ihre Enkel krank wurden. War es der Pudding, den sie mit dem Wasser aus den Containern angerührt hatte, weil die Milch zu teuer war? Oder die Gurken, die sie ihnen zum Knabbern gegeben hatte? „Selbst wenn das Wasser sauber sein sollte: Woher weiß ich, dass die Bauern ihr Gemüse nicht doch mit dem Dreckwasser aus dem Fluss gießen?“

<p>ÖDLAND Ismail Ahmed ist Bauer, aber auf seinem Feld wächst kein Getreide mehr. Um zu Geld zu kommen, musste er schon einen Teil seines Landes und seine Schafe verkaufen</p>

ÖDLAND Ismail Ahmed ist Bauer, aber auf seinem Feld wächst kein Getreide mehr. Um zu Geld zu kommen, musste er schon einen Teil seines Landes und seine Schafe verkaufen

UMM HAJERA

Zwanzig Minuten von Hassakeh entfernt, wo der Boden so trocken ist, dass er zerspringt, liegt Umm Hajera. Oder besser gesagt: das, was von dem Dorf übrig ist. Vor zwei Jahren hätten hier noch hundert Menschen gelebt, jetzt seien es nur noch fünfzig, erzählt Ismail Ahmed. Wie alle hier ist der Dreißigjährige Bauer. Vielmehr: Er war es. Bauern haben Vieh und ernten Getreide. Vieh hat Ismail Ahmed seit einem Jahr keines mehr, geerntet hat er zuletzt vor drei Jahren. In seinem blauen Jogginganzug steht er auf dem Feld, an der einen Hand hält er seinen Sohn, mit der anderen zupft er ein versprengtes Grasbüschel aus dem Boden. „Nichts“, sagt er. Eigentlich sollte der Weizen auf den Feldern um diese Zeit, Anfang März, kniehoch wachsen. Stattdessen weitet sich die Wüste immer weiter aus. Seitdem der Fluss Khabur kein Wasser mehr führt, sind auch die Kanäle ausgetrocknet, die die Felder versorgt haben. Und seitdem das Wasser in den Kanälen verebbt ist, hängt die Ernte allein vom Regen ab.

Laut Bob Stefanski, dem Leiter der Abteilung für angewandte Klimadienste bei der Weltorganisation für Meteorologie, ist die diesjährige Saison die dritte in Folge, in der die erwarteten Regenfälle ausbleiben. Die Kosten für die Landwirtschaft haben sich in den vergangenen Jahren fast verdoppelt, hat das UN-Büro für Humanitäre Angelegenheiten ermittelt. In Hassakeh haben die Bauernfamilien im letzten Jahr neunzig Prozent ihrer Ernte verloren. In der Vergangenheit war ganz Syrien abhängig von den Erträgen im Nordosten des Landes. Nun gehen die Vorräte in den Kornspeichern zur Neige. Schon jetzt haben mehr als zwölf Millionen Menschen in Syrien nicht genug zu essen, es ist die schlimmste Hungerkrise seit Beginn des Konflikts.

<p>BETONMONUMENT Den Euphrat-Damm am Assad-See durchströmten einst große Wassermengen, heute fließt dort oft nur noch ein Rinnsal</p>

BETONMONUMENT Den Euphrat-Damm am Assad-See durchströmten einst große Wassermengen, heute fließt dort oft nur noch ein Rinnsal

„Es ist ein Teufelskreis“, sagt Ismails Bruder Khaled Ahmed, 45. „Weil das Wasser fehlt, bräuchten wir Geld für den Bau von Brunnen, um Grundwasser auf die Felder zu pumpen. Aber weil das Wasser fehlt, haben wir keine Ernte und keine Einkünfte, mit denen wir Pumpen kaufen könnten.“ Zusammen besaßen sie zehn Hektar Land, mussten aber die Hälfte verkaufen. Als im vergangenen Jahr wieder nichts auf ihren Feldern wuchs, waren sie gezwungen, auch ihre 75 Schafe zu verkaufen. Nun bleibt der Ertrag das dritte Mal in Folge aus. Und auf Unterstützung können sie nicht hoffen. „Normalerweise investieren die UN in ehemalige Konfliktregionen. Weil die Selbstverwaltung aber international nicht anerkannt ist, bekommt sie keine UN-Gelder“, sagt Wim Zwijnenburg von der niederländischen Organisation PAX. „Aufgrund der feindseligen Haltung der Türkei ist es für die EU oder Entwicklungsorganisationen schwierig, in diesem Gebiet zu investieren, da sie mit politischem Druck oder Sicherheitsbedenken konfrontiert sind.“

Ismail und Khaled überlegen, auch ihr letztes Land zu verkaufen. Die Hälfte des Dorfes ist schon fortgezogen. Die meisten versuchen, sich in den Städten als Tagelöhner durchzuschlagen. Die, die es sich leisten konnten, haben Schlepper bezahlt, um es nach Europa zu schaffen. „Wenn meine Kinder groß genug sind, werde ich sie auch fortschicken“, sagt Ismail. „Hier wartet auf sie nichts als der Tod.“

HASSEKEH

Für Narin Mahmoud Sabri, die Vorsitzende der Wasserverwaltung in Hassakeh, kommt Flucht einer Kapitulation gleich. „Das ist genau das, was die Türkei will: das Land unbewohnbar machen, sodass die Menschen fliehen, und so Druck auf die Selbstverwaltung ausüben, um einen Regierungswechsel zu erzwingen.“ An der Wand in ihrem Büro lehnt eine große Karte mit den Wasserwegen der Region. Flüsse, Kanäle und Stauseen, die es nicht mehr gibt. Sabri und ihr Team haben sich geschworen, das Wasser zurückzubringen. Viel Zeit bleibt ihnen nicht. Der erste Lösungsversuch, das Wasser aus dem Khabur abzuschöpfen, zu filtern und in die Leitungen der Stadt zu speisen, scheiterte, weil im Fluss wegen der Dürre kaum Wasser floss. Die zweite Idee, Rohre bis zum Euphrat zu legen, um Wasser über Hunderte Kilometer herbeizupumpen, wurde nicht umgesetzt, weil auch der einst mächtige Strom immer weniger Wasser führt.

Der neueste Plan ist es, eine neue Pumpstation, ein zweites Allouk zu bauen. Sie soll in Amuda entstehen, 15 Kilometer weiter östlich, wo Geologen große Grundwasservorkommen ausgemacht haben. Das Problem: Rund 25 Millionen Dollar würde das Projekt kosten, schätzt Sabri. Geld, das die Selbstverwaltung nicht hat. Aber selbst wenn sie es hätte, sagt sie: „Wer garantiert uns, dass die Türkei die Anlage nicht gleich wieder überfallen würde, wenn sie fertiggestellt ist?“ Denn eines ist inzwischen den meisten Menschen im Nordosten Syriens klar: Eine Lösung für die Wasserkrise wird es erst dann geben, wenn der Konflikt mit der Türkei beendet ist. Mitarbeit: Shaveen Mohammad.

Die Recherche wurde vom Europäischen Journalistenzentrum im Rahmen des Global Health Security Call mitfinanziert und unterstützt von der Bill & Melinda Gates Foundation.

Dieser Bericht erschien in der Ausgabe 3.23 „Wasser“. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!

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