Sie nennt sich Wasserkriegerin. Die Kanadierin Maude Barlow ist eine Wegbereiterin des Menschenrechts auf Wasser. Im Greenpeace Magazin 3.23 spricht sie über den Mythos des Überflusses, Wasserlords und die richtige Art zu hoffen.

Frau Barlow, Sie leben in einem grünen Land voller Flüsse und Seen. Wie taucht man dort in das Thema Wassernot ein?

Es stimmt, dass wir in Kanada pro Kopf mehr Wasser haben als die meisten Länder. Trotzdem leben auch wir nicht im Überfluss. Wir haben, was ich den Mythos des Überflusses nenne. Ich glaube, dass es den auch in Deutschland gibt.

Worin besteht dieser Mythos?

Es ist die Vorstellung, dass uns das Wasser niemals ausgehen kann. Als Kinder haben wir gelernt, dass es auf der Welt immer die exakt gleiche Menge Wasser gibt. Ich erinnere mich an das Bild: ein einziger großer Kreislauf rings um den Planeten. Aber das ist nicht wahr, es gibt viele lokale Kreisläufe. Man kann sie zerstören. Ich glaube, je reicher ein Land ist, umso verbreiteter ist die Ansicht, dass Wasser keine Rolle spielt. Uns beginnt aber zu dämmern, dass es keinen Ort auf der Welt gibt, wo man der globalen Wasserkrise entkommen kann.

In Europa hatten wir eine Winterdürre. Eine Insel im Gardasee war zu Fuß erreichbar. Was denken Sie, wenn Sie solche Bilder sehen?

Es bricht mir das Herz.

Glauben Sie, dass dies die nächste Eskalationsstufe der Wasserkrise ist?

Ja. Wer hat je von einer Dürre im Winter gehört? Ich versuche übrigens, zwischen Klimakrise und Wasserkrise zu unterscheiden, obwohl beide eng verbunden sind. Oft sieht man Berichte, in denen es heißt, eine Dürre in Kalifornien sei verursacht von der Klimakrise. Ja, vermutlich hat die Klimakrise sie verschlimmert, aber vielleicht liegt es auch daran, dass man Mandeln für den gesamten Planeten in einer Gegend anbaut, wo kein Wasser übrig ist? Wir müssen die Wasserkrise als etwas ganzheitliches betrachten und uns bewusst sein, dass alle Entscheidungen, die wir treffen, Auswirkungen auf die Wasserverfügbarkeit haben. Eigenes sehen. Es reicht nicht, grün zu denken, wir müssen auch "blau denken".

<p>HEIMATHAFEN Maude Barlow hat auf langen Reisen von Slums bis zu den Vereinten Nationen vieles gesehen. Zu Hause ist sie in Kanadas Hauptstadt Ottawa</p>

HEIMATHAFEN Maude Barlow hat auf langen Reisen von Slums bis zu den Vereinten Nationen vieles gesehen. Zu Hause ist sie in Kanadas Hauptstadt Ottawa

Selbst wenn wir morgen alle Emissionen stoppen, haben wir noch eine Wasserkrise?

Richtig, wir müssen auch den Krieg gegen die Natur beenden. Wir müssen aufhören, Wälder abzuholzen, Feuchtgebiete auszutrocknen und Wasser zu verschmutzen. Nehmen wir mein schönes Land: Wenn wir eine Wohnsiedlung bauen, gehen wir los und fällen die Bäume, betonieren die Flüsse zu und legen die Sümpfe trocken. Das ist die Mentalität des Überflusses. Wir zerstören die Möglichkeiten der Natur, Wasser zu speichern. Man kann sie wiederherstellen. In einem meiner Bücher beschreibe ich eine Reise durch Südaustralien. Nahe der Mündung des Murray River liegen die Schwesterstädte Adelaide und Salisbury City. Über viele Jahre hatten sie eine schreckliche Dürre. Adelaide baute eine Entsalzungsanlage. Groß, teuer, schmutzig. Salisbury entschied sich für einen anderen Weg. Die Stadt belebte Sümpfe neu, baute Wasserspeicher und pflanzte entgiftende Pflanzen. Die Vögel kehrten zurück, der Regen wird gesammelt und die Kommune hat wieder mehr Wasser. Eine wunderbare Geschichte, man kann die Natur zurückbringen.

Sie nennen sich selbst eine Wasserkriegerin. Sind wir im Krieg?

Der erste, den ich mitbekam, spielte sich Anfang 2000 in Bolivien ab. Die Weltbank hatte die Stadt Cochabamba gezwungen, ihre Wasserversorgung einem privaten Konsortium zu überlassen. Darunter ein Baukonzern aus den USA. Das verdreifachte den Wasserpreis und signalisierte den Menschen: Uns gehört das Wasser, das vom Himmel fällt. Wenn wir euch dabei erwischen, wie ihr es auffangt, werdet ihr zahlen oder ins Gefängnis gehen. Cochabamba hat eine überwiegend arme, indigene Bevölkerung. Und die sagte: Wir können uns das nicht leisten. Es gab einen Aufstand, die Armee rückte ein und Menschen wurden getötet. Die, die dort um Wasser kämpften, kämpften buchstäblich auf den Straßen dafür. Wenn ich Kriegerin sage, ist das nicht metaphorisch gemeint.

Sie haben oft darüber geschrieben, wie Konzerne mithilfe von IWF, Weltbank und Regierungen Wasser zur Ware machen. Welche Folgen hat das?

Wir haben eine endliche Menge Wasser. Der Bedarf steigt steil an, die Verfügbarkeit sinkt rapide. Also spielt es eine Rolle, ob manche aus Wasser Profit ziehen. Eine Form davon ist die Privatisierung der Wasserwirtschaft wie in Cochabamba. Die Menschen dort haben gewonnen. Und auch viele andere Kommunen haben ihre Wasserversorgung nach einem Verkauf wieder selbst übernommen, darunter große Städte wie Berlin und Paris. Als Paris eigene Wasserbetriebe gründete, bekamen sie den Namen Eau de Paris. Klingt schön, nicht?

Wie ein Parfüm.

Es gibt viele Arten, Wasser zu kommerzialisieren. Ein weiteres Beispiel ist der Handel mit Wasserrechten, in Chile etwa. Es war der Diktator Pinochet, der das Wasser dort fast vollständig privatisierte und Nutzungsrechte vergab. Inzwischen konzentrieren sich diese Rechte bei großen Firmen, auch Bergbauunternehmen aus Kanada. Und Wasser ist sogar an der Börse. Es gibt neuerdings Wasserfutures für Kalifornien. Zum ersten Mal geht es nicht darum, reales Wasser zu kaufen. Es geht darum, auf eine Krise in Kalifornien zu wetten. Dass manche Leute in der Lage sind, mit Wasser zu handeln, ist sehr gefährlich.

Es wird nicht möglich sein, das Menschenrecht auf Wasser durchzusetzen, wenn einerseits die Wasserquellen versiegen und andererseits das trinkbare Wasser Profitmachern gehört. Den Wasserlords, wie ich sie nenne.

<p>ANSTECKEND Das Werben für Leitungswasser ist Barlow wichtig – für die Umwelt und gegen die Macht der Wasserabfüller</p>

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Sie gelten als Wegbereiterin des Menschenrechts auf Wasser, das die UN 2010 in einer Resolution beschlossen.

Oh, die Anerkennung gebührt Pablo Solón Romero, dem bolivianischen UN-Botschafter. Bolivien gehörte zu den Staaten, die die Resolution einbrachten. Es waren Pablos Formulierungen, ich habe intensiv mit ihm daran gearbeitet. Der 28. Juli 2010 war ein wunderbarer Tag in meinem Leben.

Woran erinnern Sie sich besonders?

Wir dachten zuerst, wir würden verlieren. Deutschland war fabelhaft, aber die meisten wohlhabenden Staaten stellten sich gegen die Resolution. Vor der elektronischen Abstimmung saß ich mit zwei Leuten aus meinem Team auf der Besuchertribüne. Sie weinten. Ich sagte: Egal, wie lange es dauert, wir kommen wieder. Und dann erschien das Ergebnis auf der Anzeigetafel. Wir hatten gewonnen! Pablo Solón kam zu uns auf die Tribüne. Viele UN-Botschafter ärgerte das. Sie schauten zu ihm hoch und schüttelten die Köpfe. Aber er stand da mit einem breiten Grinsen. Wundervoll!

Sind Sie denn zufrieden mit der Wirkung des Menschenrechts auf Wasser?

Ich bin zufrieden, dass niemand mehr bestreitet, dass Wasser ein Menschenrecht ist. Das war eine riesige Debatte: An Wirtschaftshochschulen rund um die Welt wurde gelehrt, Wasser sei nur ein Bedürfnis, das der Privatsektor und Wohltätigkeit befriedigen können. Inzwischen haben sich alle Länder der Resolution angeschlossen. Wurde direkt am nächsten Tag alles besser? Natürlich nicht! Die Welt bekommt ein neues Menschenrecht. Aber das ist erst der Anfang. Werden wir den Kampf gewinnen? Ich weiß es nicht.

Welche Politik ist nötig, um das Recht auf Wasser durchzusetzen?

Meiner Meinung nach sollten Regierungen Wasser zur gemeinnützigen Sache erklären. Es gibt auch Aufgaben für Unternehmen, sie können die Wasserrohre verlegen, Technologie bereitstellen. Aber die Entscheidungen, wer Zugang zu Wasser hat, sollte nichts mit Profit zu tun haben. Wasser ist – wie Gesundheit und Bildung – ein öffentliches Gut. Damit alle weltweit Zugang dazu haben, muss es unter öffentlicher demokratischer Kontrolle sein. Außerdem müssen die Regierungen auch das Wasser selbst schützen. Wenn du weiter Öl- und Bergbaufirmen erlaubst, Schadstoffe ins Wasser zu kippen, dann hast du ein Menschenrecht nur auf dem Papier. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, um ehrlich zu sein.

<p>DURCHHALTEVERMÖGEN Die heute 75-Jährige kämpft seit vierzig Jahren für den Schutz des Wassers als Gemeingut</p>

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Sie sagten "demokratische Kontrolle". Mehr als die Hälfte aller Menschen lebt gar nicht in Demokratien.

Stimmt, das Menschenrecht auf Wasser ist an die anderen Grundrechte geknüpft: das Recht zu wählen, mitzubestimmen, wer die Regierung ist. Der Aufstieg von Diktatoren an so vielen Orten auf der Welt ist zutiefst besorgniserregend, gemessen an dem, was wir jetzt tun müssen, um die Erde und das Wasser zu beschützen. Sie plädieren für eine neue Ethik des Wassers.

Wie würde die aussehen?

Der Wandel muss damit beginnen, dass wir aufhören, die Menschen an die Spitze zu stellen. Wir herrschen nicht über alles andere. In meinem Land schauen wir stark auf die Lehren der First Nations, deren Weltsicht mittlerweile stärker wahrgenommen wird. Ich glaube, die Menschen in Kanada hören gerade gut zu. Es ist eine Art Aussöhnung dafür, dass unsere Vorfahren ihr Land genommen und ihre Kinder in Internate gezwungen haben. Wir lernen gerade viel über den Schutz der Erde. Und die indigenen Lehren sagen uns, dass auch wir Natur sind. Wenn wir der Natur wehtun, verletzten wir uns selbst.

In Ihrem neuen Buch "Still Hopeful" schreiben Sie über Hoffnung als Antrieb. Woher nehmen Sie immer noch all die Hoffnung?

Ich habe das Buch vor allem für junge Menschen geschrieben, weil es unglaublich frustrierend sein muss, wenn man 14 ist und jemand sagt: Der Planet hat nur noch zehn gute Jahre. Meine Art zu hoffen sieht so aus: Setz dich dafür ein, zu schützen, was gut für die Menschen und den Planeten ist. Akzeptiere, dass du den Ausgang der Sache nicht kontrollieren kannst. Das ist schwierig für eine getriebene Person wie mich! Trotzdem handelst du. Du streckst deine Hand aus und berührst das Universum dort, wo du kannst, in dem Wissen und in dem Vertrauen, dass andere dasselbe tun.

Dieses Interview erschien in der Ausgabe 2.23 „Wasser“. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!

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