Von der Teewurst bis zum Cordon Bleu – Fleischersatz kommt seinen tierischen Vorbildern geschmacklich immer näher. Doch welchen Preis zahlt man für die Pseudo-Fleischeslust?

Michael Spahn steht in seiner Frankfurter Metzgerei am Kutter und macht Leberkäs’. So stellt man sich einen Metzger vor: Das Hemd ist rotweiß kariert, die Jeans steckt in weißen Gummistiefeln. Auch die Haare sind weiß, die Augenbrauen drahtig. Immer wieder greift der Metzger in die rosa Masse und löst sie vom Rand der rotierenden Schüssel. In seinen Leberkäs’ kommt nur bio, sagt er: getrocknete Zwiebeln, Tomatenmark, Gewürze, dazu Rote-Bete-Pulver für die Farbe, Johannisbrotkernmehl und Hefeflocken, Maisstärke – und Gluten, also Weizeneiweiß. Von Schwein keine Spur.

Denn Michael Spahn, 61 Jahre alt, ist seit zehn Jahren privat Veganer und beruflich – nun ja, Flexitarier würde man wohl sagen. Er verkauft Fleisch und Wurst von Tieren aus ökologischer Haltung, daneben aber tüftelt er an veganen Pendants. Mett? Da gibt es die Hackepetra aus Reiswaffeln und Tomatenmark. Blutwurst? „Black Pudding“ aus schwarzen Linsen. Salami, Rollbraten, Königsberger Klopse – hat er alles veganisiert. Zu kaufen gibt es das tierfreie Fleisch auch in seiner Metzgerei, vor allem aber in seinem Onlineshop. „Wenn wir als Fleischerfachgeschäft bestehen wollen, müssen wir unseren Kunden Alternativen bieten“, meint er. „Sonst holen sie sich die woanders.“

Etwa bei einem der Großunter nehmen, die ebenfalls ganz undogmatisch flexitarisch sind, seit es sich rentiert, auch fleischfrei zu produzieren. Rügenwalder Mühle, Meica, Gutfried – die großen Fleisch marken haben den Markt für vegetarische und vegane Alternativen weitgehend unter sich aufgeteilt. Mit deutlichem Abstand führend ist mit zuletzt mehr als vierzig Prozent Marktanteil: Rügenwalder. Die Firma verkaufte 2021 bereits mehr Produkte ohne Fleisch als mit. Auch die Konzerne Unilever und Nestlé haben die Cashcow Fleischersatz für sich entdeckt. Im Vergleich zu den rund vierzig Milliarden Euro, die 2021 in Deutschland mit Fleisch umgesetzt wurden, sind die 611 Millionen, die auf Ersatzprodukte entfielen, natürlich Kleinvieh – allerdings wachsendes. Was früher eher im Reformhausregal stand, hat sich zum konventionellen Convenient Food entwickelt: Stammten vor zehn Jahren noch drei Viertel des Fleischersatzes in hiesigen Supermärkten aus Bioproduktion, hat sich das Verhältnis seit 2016 umgekehrt. Heute werden fast sechzig Prozent der Produkte konventionell hergestellt.

<p>Gemüse, eine Prise Gewürz, eine Portion Salz und ab durch den Fleischwolf. Um dem Gaumen Fleisch vorzugaukeln, braucht es allerdings ausgefeiltere Technologie und oft Zusatzstoffe</p>

Gemüse, eine Prise Gewürz, eine Portion Salz und ab durch den Fleischwolf. Um dem Gaumen Fleisch vorzugaukeln, braucht es allerdings ausgefeiltere Technologie und oft Zusatzstoffe

Auf Schnitzeljagd

Diese sind nicht unumstritten: hochverarbeitet, oft mit Zusatzstoffen, ungesund, dazu noch teuer und verpackungsintensiv – und wozu das Ganze, so die oft gehörte Frage, wenn man doch gar kein Fleisch mag? Metzger Spahn kontert: „Man braucht ’ne Einstiegsdroge.“ Oder besser: eine Ausstiegsdroge. Denn Essen nährt nicht nur den Körper, sondern auch dessen Belohnungssystem, und wer seit eh und je Schnitzel genießt, gewöhnt es sich nicht von heute auf morgen ab. Schon gar nicht, wenn man es wie Spahn beruflich isst. Als Fleischesser habe er 45 Kilo mehr als heute gewogen, erzählt er und zeichnet mit seinen Händen einen großen Schwimmreifen um seine Körpermitte nach. Cholesterin, Blutzucker, Blutdruck, alles im Argen. Dann war da dieser vegane Aktivist vor seinem Laden, mit dem er ins Gespräch kam und der ihm ein Sojaschnitzel vorbeibrachte. Keines, wie man es heute bunt verpackt im Kühlregal findet. Sondern eines, das „Big Steak“ hieß, aber doch eher nach freudloser Körnerkost aussah: „Wie ein Knäckebrot“, sagt Spahn, „das man in Gemüsebrühe einweicht, paniert und in der Pfanne brät.“ Aber die Hauptsache war: Ihm taugte es als Fleischersatz.

Der Trend der Ersatzprodukte, die den Originalen immer näherkommen, verändert die tierfreie Ernährung. „Bisher zeigen die Daten, dass Vegetarierinnen und Veganer weniger Übergewicht haben und ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt Anja Bosy-Westphal, Professorin für Humanernährung an der Universität Kiel und Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin. „Das könnte sich langsam verändern. Eine Studie aus Frankreich etwa hat ergeben, dass, wer sich vegetarisch oder vegan ernährt, im Schnitt mehr hochverarbeitete Lebensmittel verzehrt.“

Ernährungsphysiologisch haben diese den Nachteil, dass sie nur isolierte Bestandteile der verwendeten Rohstoffe enthalten. „Es fehlen die wertgebenden Inhaltsstoffe: Vitamine, Spurenelemente, Mineralstoffe, außerdem sekundäre Pflanzen und Ballaststoffe – wir müssen ja auch unser Mikrobiom füttern“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin. Ein Beispiel seien Erbsen: Die sind gesund, haben eine niedrige Energiedichte, weil sie hauptsächlich aus Wasser bestehen, enthalten unter anderem Vitamine, Mineral und Ballaststoffe. Und was ist mit einer veganen Teewurst auf Basis von Erbsenprotein, also Eiweiß? „Wenn ich nur das Protein raushole, fehlen die anderen wertgebenden Inhaltsstoffe wie Kalium und B-Vitamine, und das Ergebnis ist viel energiedichter“, sagt Bosy-Westphal.

Auch das Protein selbst werde verändert, um die Konsistenz von Wurst zu imitieren, Extrusion heißt das Zauberwort: Unter hohem Druck und Hitze wird das Protein in fleischartige Konsistenz gepresst – mit demselben Verfahren wird Maisgrieß zu Erdnussflips und Kunststoff zu Schwimmnudeln aufgeschäumt. Dadurch nehme die biologische Wertigkeit des Proteins ab, sagt Bosy-Westphal – wie gut also der Körper das Protein der Erbse zu eigenem umbauen kann. Das sei zwar in reichen Ländern kein Problem, hier herrsche kein Eiweißmangel. Allerdings gehen auch andere gesunde Inhaltsstoffe bei der Verarbeitung verloren. Laut einer Studie, die der Bioverband Demeter in Auftrag gegeben hat, verringert sich etwa der Gehalt von Vitamin B1 in Getreide durchs Extrudieren stark.

Während die gesundheitsfördernden Stoffe fehlen, ist von den kritischen oft viel drin: Zucker, Fett, Salz. Sie geben Geschmack, kosten wenig und sprechen das Belohnungszentrum im Gehirn an. „Das ist komprimierte Energie, das sind weiche Kalorien mit intensivem und verführerischem Geschmack – das lieben wir natürlich“, sagt Bosy-Westphal. Ein Problem, das übrigens nicht auf Fleischersatz beschränkt ist: Die Deutschen nehmen fast die Hälfte aller Kalorien in Form hochverarbeiteter Lebensmittel zu sich.

Damit aus Erbsen, Sojabohnen, Weizen und Süßlupinen etwas wird, das sich im Mund wie Schnitzel, Bulette oder Geschnetzeltes anfühlt, nutzen die meisten Hersteller nicht nur Verfahren wie die Extrusion, sondern auch Zusatzstoffe, vor allem Verdickungsmittel und Füllstoffe (siehe linke und nächste Seite). Am Beliebtesten: Methylzellulose, hergestellt aus Zellulose, dem Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände. Seine Funktion, wie es Metzger Spahn ausdrückt: „Man kann damit Wasser schnittfest machen.“ Deshalb wird das weiße Pulver neben Lebensmitteln auch in Tapetenkleister verwendet.

Tierisch gut imitiert

Dank der technologischen Fortschritte schmeckt das Kunstfleisch seinem Original heute teils zum Verwechseln ähnlich. Nur so ist zu erklären, dass bei der Fastfood-Kette Burger King erst durch eine Undercover-Recherche aufflog, dass teils echtes Fleisch als vegane Alternative verkauft wurde.

Um die tierischen Vorbilder derart überzeugend zu imitieren, kommt man der zeit um Verfahren wie die Extrusion kaum herum. Bei den Zusatzstoffen gibt es allerdings gehörige Unterschiede. Zunächst sind da natürlich die Bioprodukte, für die viele Zusatzstoffe verboten sind. Neu auf dem Markt ist Fleischersatz aus fermentiertem Weizengluten. Das Verfahren wurde von einer Ausgründung der Fachhochschule Münster entwickelt und erlaubt es, auf Verdickungsmittel wie Methylzellulose zu verzichten. Mittels Fermentation, einer Form von Gärung durch Bakterien oder Pilze, wird auch aus Sojabohnen Tempeh hergestellt

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 1.23 "Transformation". Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!

Mehr zum Thema

Leseecke

Was wirklich glänzt

Sauberer Goldschmuck

MEHR BEITRÄGE