À la Saison

Mächtiger Mais

Getreide oder Gemüse, Popcorn oder Plastik, Teller oder Tank, geliebt oder gehasst? So oder so: An Zea mays kommt niemand vorbei. Unser Korn der Saison im literarischen Porträt

Mächtiger Mais

„Maisfelder sind wohl der größte Horror, den es auf dem ganzen Scheißantlitz dieser Erde zu sehen gibt“, lässt der Schriftsteller Douglas Coupland seinen Helden Zack im Roman „Generation A“ ausrichten. So deftig ist selten eine Ackerfrucht beschimpft worden – schon gar nicht in der Belletristik, der „schönen Literatur“. Aber Zack weiß, wovon er spricht. Als Maisbauer im US-Bundesstaat Iowa sitzt er in der vollklimatisierten, rundumverglasten Fahrerkabine seines Mähdreschers Maizie und überblickt die Ödnis der Maismeere im Mittleren Westen. Zack ist dem Mais in herzlichem Hass verbunden. „Vor tausend Jahren war er bloß ein Grashalm mit einem lumpigen Samenkorn dran; heute ist er ein aufgeblähter, ellenlanger, buttriger Kohlenhydratdildo“, meckert er. Dann wird er von einer Biene gestochen. Ein Vorfall, der augenblicklich die Behörden auf den Plan ruft. Denn Couplands 2009 erschienene Dystopie spielt in einer nahen Zukunft, in der die Bienen ausgestorben sind.

In Zacks Welt sind Früchte und auch viele Gemüse Luxus. Handbestäubte Birnen oder Mandeln gibt es für Mondpreise auf dem Schwarzmarkt. Der windbestäubte Mais mit seinen billigen Kalorien hingegen ist die Nahrung und zugleich das Stigma der Elenden. Es ist eine düstere Fiktion. Aber manches stimmt: Nirgendwo wächst mehr Mais als im Mutterland der Cornflakes. Und: Das meistangebaute Getreide der Welt ist in Verruf geraten.

Von einer Milliarde Tonnen globaler Jahresernte landen mehr als sechzig Prozent im Trog statt auf dem Teller. Die Idee, aus Mais Agrosprit und Biogas zu machen, förderte auch in Deutschland die „Vermaisung der Landschaft“ mit Monokulturen wie in den USA. Weltweit wird keine Pflanze häufiger gentechnisch verändert als Mais. Und er steckt in Hunderten Industrieprodukten wie Tapetenkleister, Paketpolsterchips und Bioplastik, das oft nicht einmal verrottet. Mais ist überall – eine Landplage fast. Trotzdem wird nur der geringste Teil davon gegessen. Ein Fehler.

Wie alle Getreide gehört Zea mays zur Familie der Süßgräser. Allerdings ist er das einzige Getreide, das aus Amerika stammt. Gut 4000 Jahre vor unserer Zeit begannen Menschen in Mexiko, seine wilden Vorgänger zu domestizieren. Hochkulturen wie die der Azteken, Inka und Maya entstanden und verehrten Maisgottheiten. Die Maya glaubten gar, aus Mais erschaffen worden zu sein. Lange bevor Kolumbus die Körner in Spanien anlandete, war Mais in ganz Amerika ein Grundnahrungsmittel. Nicht allen in Europa waren solche Feinheiten vertraut. So bekam das fremde Korn Namen wie Türkischer Weizen, granoturco und blé d’Inde.

Mais gehört also in die Küche. Nur ist sein Image auch dort nicht das beste. Denn Gemüsemais, eine Mutation, die im Reifeprozess länger süß bleibt, ist kein Teamspieler. Salaten, Chilis oder Pizzen verleiht sweet corn den kulinarischen Tiefgang von Toast Hawaii. Eine bessere Figur machen die Kolben pur. Mais ist mein Gemüse, dürfen Grillfans guten Gewissens sagen. Auch roh oder gedämpft süßt Zuckermais den Spätsommer. Kulinarisch spannender aber ist Getreidemais: Sei es in hauchdünner Tortilla, knackigen Tacos oder cremiger Polenta. Den größten Knalleffekt hat Mais natürlich außer Haus. Als Puffmais alias Popcorn ist er – süß wie salzig – großes Kino.

Atemlos die Popcorneimer knüllend konnte das Publikum Mel Gibson 2002 dabei zusehen, wie er im Film „Signs“ seltsame Kornkreise im Maisfeld vor seinem Haus entdeckte und sich für die Invasion der Außerirdischen wappnete. Das übermannshohe Grün war Drohkulisse und Horrorlabyrinth: Mais – das böse Gemüse? Nein, lieber enden wir mit Mark Twains Helden Huckleberry Finn, der bei Gewitter seelenruhig mit dem entflohenen Sklaven Jim in einer Höhle am Mississippi sitzt und zu leben weiß: „Ich hätte nirgendwo anders sein wollen und wir aßen glücklich unseren Fisch und den heißen Maiskuchen.“

Cremige Polenta mit Radicchio und Birne

Ein Rezept von Karin Midwer

Für 4 Portionen

3 EL Olivenöl, 1 kleine Zwiebel, 2 Knoblauchzehen, 2 Lorbeerblätter, ca. 1 l Gemüsebrühe, ggf. etwas mehr, 170 g Polenta, Saft und Abrieb einer Zitrone, Pfeffer, Salz, 30 g Parmesan, 1 kleiner Radicchio, 2 reife, feste Birnen, 40 g Butter, 2 Rosmarinzweige, 2 EL Zucker

Öl erhitzen, gewürfelte Zwiebel und Knoblauch farblos anbraten. Lorbeer und Brühe hinzufügen, aufkochen. Polenta nach und nach einrühren, Temperatur verringern. Mit Zitronenabrieb, Pfeffer und Salz würzen. Deckel aufsetzen, ca. 35 Minuten quellen lassen, gelegentlich umrühren, ggf. Brühe nachgießen. Lorbeer entfernen. Zuletzt geriebenen Parmesan unterrühren. Radicchio waschen, Blätter abzupfen. Geputzte Birnen in Scheiben schneiden. Butter, fein gehackte Rosmarinnadeln und Zucker in einer Pfanne erhitzen, Birnenspalten zufügen, leicht bräunen lassen, Radicchio hinzugeben, bei hoher Temperatur durchschwenken. Mit Zitronensaft, Pfeffer und Salz abschmecken. Und mit der Polenta auf Tellern anrichten.

Und sonst so?

Frisch vom Feld im September:
Feldsalat, Kürbis, Pastinake, Rosenkohl, Steckrübe, Süßkartoffel, Topinambur, Weintraube

Neu im Oktober:
Quitte, Schwarzwurzel, Winterrettich

Mächtiger Mais

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