À la Saison

Philosophische Pflaume

Von Sinn bis Suppe, von Muse bis Mus, von Erfolg bis „du Pflaume!“ – Prunus domestica versüßt uns sonnenreif und sortenreich den Sommer. Sie ist unser Obst der Saison im literarischen Porträt

Philosophische Pflaume

„Nichts bedeutet irgendetwas, das weiß ich schon lange. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun. Das habe ich gerade  herausgefunden“, spricht der Siebtklässler Pierre Anthon in der ersten Stunde nach den Sommerferien, steht auf, verlässt den Raum und kehrt nie mehr zurück. Fortan sitzt er auf einem Pflaumenbaum am Schulweg der anderen, bewirft sie mit unreifen Exemplaren der alten Sorte Königin Viktoria und mit harten Einsichten dieser Art: „Alles ist egal. Denn alles fängt nur an um aufzuhören. In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben.“ Oder: „Die Erde ist vier Milliarden sechshundert Millionen Jahre alt, aber ihr werdet höchstens hundert! Das Leben ist die Mühe überhaupt nicht wert.“ Dass er seinen Nihilismus nicht mit Äpfeln ausdrückt, heißt wohl, dass es ihm ernst ist: Er veräppelt die Leute nicht, er pflaumt sie an.

Als der Jugendroman „Nichts“ der Dänin Janne Teller im Jahr 2000 erschien, wurde er gefeiert und gefürchtet. Er gewann Preis um Preis. Doch manche Schule verbannte die Lektüre. So tief klaffte die Leere hinter den kurzen Sätzen des modernen Märchens, dass viele Erwachsene wohl Mühe hatten, nicht selbst hineinzufallen. Warum sind wir mit den ganz großen Fragen am Ende oft so allein?

Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass die Pflaume im Fernen Osten passenderweise als Baum der Erkenntnis gilt. Und während hierzulande Versager „du Pflaume“ heißen, steht das Steinobst aus der Familie der Rosengewächse dort für Glück und Erfolg. Pflaumen wurden schon vor gut 2500 Jahren in Syrien kultiviert, wo vermutlich Alexander der Große auf Kriegszug Geschmack an ihnen fand und sie heim nach Hellas nahm. Im Gepäck der Römer überquerten sie die Alpen, und ein anderer Großer, nämlich Karl, soll ihren Anbau in Mitteleuropa gefördert haben. Die winzigen gelben Mirabellen, die empfindsamen grünen Renekloden, die größeren runden Pflaumen und die schillernd blauvioletten Zwetschgen sind allesamt Unterarten von Prunus domes tica, der Hauspflaume. Somit ist jede Zwetschge oder Zwetsche eine Pflaume, nicht aber jede Pflaume eine Zwetschge.

Verwirrt? Egal! Die Suche nach Sinn ist zwar sinnlos, aber der Mensch ist gut darin, sich welchen zu backen. Man denke an Offenbarungen wie warmen Zwetschgenkuchen mit duftenden
Butterstreuseln oder kaiserlich-königliche Mehlspeisen à la Buchteln mit Powidl-Füllung: Hier saftet Pflaume, von Zimt geneckt und von Mandelstiften unterstrichen, süßsauer in luftigen Hefeteig. Powidl, das österreichische Pflaumenmus, tröstet übrigens über den Lauf der Welt hinweg: „Das ist mir Powidl“ bedeutet so viel wie „Mir doch egal“. Und wer Mus nicht stark genug findet, darf die Frucht flüssig genießen wie die junge Schnapstrinkerin auf Édouard Manets Gemälde „Die Pflaume“.

Zum Glück ist die bildschöne Frucht eine Zutat nicht nur trauriger zeitgenössischer Literatur, sie nährte weit optimistischer schon die Klassiker: Goethes Wilhelm Meister stibitzte sie als Kind aus der Vorratskammer. Jules Verne schickte seine Expedition erst nach einem „Kalbsnierenbraten mit Pflaumencompot“ zum Mittelpunkt der Erde. Und in Tolstois Anna Karenina heilte „Suppe mit gebackenen Pflaumen“ eine traurige Seele – vielleicht. Dem Körper tut das Obst nachweislich gut, ist es doch reich an Ballaststoffen, Kalzium, Magnesium und Kalium. Liebe Kinder, ihr seht: Es ist nicht in Ordnung, alte Sorten zu werfen, nur weil man in einer Kleinstadt versauert, Langeweile und keinen Lehrer wie im „Club der toten Dichter“ hat. Es reicht, auf die Schulbank zu steigen, wenn man das ganze Nichts mal von oben sehen will. Man muss nicht auf Bäume klettern und rumpöbeln. Wegen nichts!

Gemüse mit Backpflaumen
Ein Rezept von Karin Midwer

Für 4 Portionen:
1 kg gleichmäßig dünne Stangen Porree, 6 Frühlingszwiebeln,
500 g Tomaten, 1 Stange Sellerie, 1 Zitrone, 1 Stängel Rosmarin, nach Belieben weitere frische Kräuter wie Petersilie, Thymian und Minze, 300 g Backpflaumen (entkernt), 400 ml Gemüsebrühe, 2 EL Butter, 2 EL Olivenöl, Pfeffer und Salz

Zubereitung:

Porree und Zwiebeln waschen, putzen und in ca. 3 cm lange Stücke schneiden. Tomaten abziehen, Strunk entfernen, würfeln. Sellerie waschen und klein hacken. Zitrone waschen, Schale abreiben und auspressen. (Mindestens die Zitrone sollte Bioqualität haben.)
Kräuter waschen, trocknen und wenn nötig hacken. Gemüse, Backpflaumen, Rosmarin und Zitronenabrieb mit Brühe, Butter und Öl in einen Topf geben, nach Geschmack pfeffern und salzen. Etwa 25 Minuten köcheln lassen, bis der Porree weich ist. Rosmarin entfernen. Mit Zitronensaft und den anderen frischen Kräutern abschmecken. Tipp: Mit Baguette ein leichtes Sommergericht.

Und sonst so?

Neu im Juli aus dem Freiland:

Bohne, Brombeere, Lauch, Mirabelle, Postelein, Reneklode, Rote Bete, Sauerkirsche, Schalotte, Sellerie, Weißer Rettich, Zwiebel

Neu im August:

Apfel, Birne, Mais, Radicchio, weiterhin reifen: alle Sommerbeeren von Brom- über Him- bis Stachelbeere

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