Liebe Leserinnen und Leser,

wer regelmäßig die Nachrichten verfolgt, mag mit Grausen auf die politische Situation in vielen Ländern blicken und sich freuen, im eigenen Land eine aktive, gut organisierte und sogar steuerlich begünstigte Zivilgesellschaft zu haben, die sich für Menschenrechte und Umweltschutz, gegen Rechtsextremismus und für eine lebendige Demokratie engagiert.

Doch seit Jahren findet, meist eher hinter den Kulissen, ein zähes Ringen vieler Initiativen um ihre Gemeinnützigkeit statt, und es kommt gar nicht so selten vor, dass sie in diesem Kampf unterliegen – erst gegen das zuständige Finanzamt, das darüber entscheidet, und dann vielleicht auch vor Gericht. Dabei kann die Steuerabzugsfähigkeit von Spenden, Grundpfeiler der Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen (NROs), über deren Sein oder Nichtsein entscheiden.

Die globalisierungskritische Organisation Attac erwischte es 2014. Nach mehreren Jahren juristischen Ping-Pongs befand der Bundesfinanzhof 2019: „Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung ist kein eigenständiger gemeinnütziger Zweck im Sinne von § 52 der Abgabenordnung.“ Nun liegt der Fall beim Bundesverfassungsgericht.

Campact, Change.org (später innn.it), die Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) –  die Liste wurde länger. Seit Januar 2022 müssen gemeinnützige Organisationen im Sinne „geistiger Offenheit“ zudem immer alle Seiten zu Wort kommen lassen. Politische Bildung dürfe nicht darauf abzielen, „die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen“.

Nur zu gern nutzen Rechtsextreme wie die AfD das aus, zeigen unliebsame Initiativen bei den zuständigen Finanzämtern an oder stellen entsprechende Anträge auf Bundes- und Landesebene. So büßte das Demokratische Zentrum Ludwigsburg seinen gemeinnützigen Status vorübergehend ein, weil es Rechtsradikalen den Zugang zu seinen Veranstaltungen verwehrt hatte. Auch die Naturfreunde Thüringen rangen ein Jahr lang mit dem Finanzamt, weil sie sich gemäß ihrer Satzung auch für Demokratie und Toleranz eingesetzt hatten, zum Beispiel nach der Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD.

Die Gemeinnützigkeit wankt auch, wenn Plattformen wie innn.it kostenlose Petitionen gegen Unternehmen auf ihre Website stellen. Entweder löschen oder Gebühren erheben, forderte das Berliner Finanzamt Ende letzten Jahres. Die NRO reichte Klage ein. 2018 kam die CDU auf die glorreiche Idee, der Deutschen Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit abzuerkennen (es ging um Dieselverbote in deutschen Städten). Auch Greenpeace, der BUND und andere Umweltschutzorganisationen müssen immer mal wieder um ihren Status bangen. Als könnte man Umweltschutz völlig losgelöst von aller Politik betreiben.

Der Thinktank „Zivilgesellschaft in Zahlen“ (ZiviZ) hat ermittelt, dass sich fünf Prozent der zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Sorge um ihre Gemeinnützigkeit nicht politisch beteiligen, also Selbstzensur üben. Fünf Prozent, das klingt wenig, es sind aber immerhin 30.000 Vereine.

Handwerk hat goldenen Boden

Es braucht also dringend eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Die Ampel hat das im Koalitionsvertrag auch vereinbart. Bloß ist leider bislang nichts geschehen, obwohl ja, wie der für dieses Vorhaben verantwortliche Finanzminister Christian Lindner, FDP, es gerade so schön formulierte, in der Regierung „gehämmert und geschraubt“ werde.

Nur leider an den falschen Stellen. Das Bundesinnenministerium nämlich will, so steht es in seinem Haushaltsplan, die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) um 20 Millionen Euro kürzen, von 96 auf 76 Millionen Euro. Könnte mir bitte mal jemand erklären, wie man so die Demokratieförderung stärken will?

Statt des Parteichefs ist diese Woche dann der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr in den Hobbykeller hinabgestiegen, und bevor ihm Lindner noch hinterherrufen konnte: „Denk an die Schalldämpfer!“, kam Dürr mit einem verstaubten, mit Spinnweben überzogenen und halb zerlegtenAtomkraftwerk wieder ans Tageslicht und verkündete, seine Partei werde über einen Stopp des Rückbaus der „noch funktionierenden Kernkraftwerke“ beraten.

Ob sich die FDP wohl mit dem Netzwerk „Replanet“ zusammenschließt, das, angeführt von der 18-jährigen schwedischen Aktivistin Ia Anstoot, sich für Atomkraft einsetzt und gegen Greenpeace protestiert? Wobei die Regierung in ihrem Heimatland gerade geschwind ein Statement der Umwelt- und Klimaschutzministerin Romina Pourmokhtari von der Website des Ministeriums entfernen ließ, in dem es geheißen hatte, Schweden wolle bis 2040 „mindestens zehn Reaktoren“ bauen. So ein Ziel gebe es nicht, erklärte ein anderer Regierungsvertreter.

Wir hämmern und schrauben kommende Woche die nächste Ausgabe des Greenpeace Magazins zusammen. Mal sehen, ob danach was Neues aus der Ampelwerkstatt gekommen ist. Ein Gesetzentwurf für ein neues Gemeinnützigkeitsrecht wäre doch mal ein hübsches Werkstück.

Ich wünsche Ihnen schöne goldene Spätsommer- oder Frühherbsttage!

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Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin

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