Feuerwerkslärm ängstigt nicht nur Haustiere. Eine Analyse des Flugverhaltens von Gänsen in der Neujahrsnacht zeigt, dass auch Wildtiere aufgeschreckt werden – und das hat Folgen. 

Gänse sind wachsame Tiere. Dunkle Winternächte verbringen sie meist auf „Schlafgewässern“, damit der Fuchs sie nicht holt, den Kopf zum Ufer gerichtet, um Gefahren frühzeitig zu erkennen. „Es ist eine schöne Schnatterei die ganze Nacht“, sagt Andrea Kölzsch.

Die Biologin vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell erforscht die Wanderungen arktischer Gänse, die in Mitteleuropa überwintern, und hat dafür mit einem internationalen Forschungsnetzwerk Vögel besendert. „Ich will zum Beispiel erfahren, wie sie es schaffen, genau zur rechten Zeit nach der Schneeschmelze im Brutgebiet einzutreffen, um den kurzen Polarsommer zur Aufzucht zu nutzen“, sagt sie.

Anfang 2020 schickte ihr ein Kollege aus den Niederlanden, der regelmäßig Gänse für die Forschung fängt und beim Umlegen der GPS-Halsbänder hilft, den Screenshot einer Flugroute – mit dem Kommentar, der Vogel mache „komische Sachen“. Die Daten vom Jahreswechsel 2019/2020 zeigten den Weg einer Saatgans, Anser fabalis, die sich zuvor wochenlang an einem Baggersee an der niederländischdeutschen Grenze aufgehalten hatte – um am 31. Dezember kurz vor Mitternacht aufzufliegen, eine Runde über dem See zu drehen und dann fast zwei Stunden lang Richtung Norden zu fliegen. Dann zog es die Gans westlich bis zum IJsselmeer, an dessen Ufern sie einige Tage rastete. Am 4. Januar kehrte sie zu dem 150 Kilometer entfernten Baggersee unweit der Stadt Kleve zurück.

Andrea Kölzsch vermutete gleich, dass das Verhalten des Vogels mit einem Brauch zu tun hat, dem viele Menschen in Holland noch leidenschaftlicher nachgehen als die Deutschen: dem Silvestergeböller. So beschloss sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen, die Daten zahlreicher Gänse, die in verschiedenen Forschungsprojekten besendert worden waren, einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Insgesamt flossen die Flugrouten von 347 Saat-, Bläss-, Kurzschnabel- und Weißwangengänsen aus acht Silvesternächten in die Auswertung ein. Das klare Ergebnis: „Wir zeigen, dass Gänse in Neujahrsnächten (...) durchschnittlich fünf bis 16 Kilometer weiter und 40 bis 150 Meter höher fliegen und dass sie häufiger neue Rastplätze aufsuchen als in anderen Nächten.“

Außerdem ließ sich aus den Daten ablesen, dass sich die Gänse an den folgenden Tagen weniger bewegten und länger fraßen, offenbar um den Energieverlust auszugleichen. Für ohnehin geschwächte Tiere können solche Störungen fatal sein. Zählen sie zu einer bedrohten Art, ist es umso schlimmer.

Dass Böller Haustiere in Panik versetzen, ist bekannt. „Ich hatte mal ein Pferd“, erzählt Kölzsch, „das blieb an Silvester immer im Stall und ich musste ihm sozusagen die Hand halten.“ Dass es Wildtieren nicht besser geht, ist also keine Überraschung. Dennoch berichteten viele Medien vom Irrflug der Gänse, als die Studie Ende 2022 veröffentlicht wurde. Womöglich war das Interesse so groß, weil auch viele Menschen genervt sind. Laut einer aktuellen Umfrage lehnen sechzig Prozent der Deutschen privates Feuerwerk ab.

Zuletzt haben immer mehr Kommunen Böllerverbote für Innenstädte verhängt. „Für die Bewohner mag das ein Fortschritt sein“, sagt Andrea Kölzsch. „Den Wildtieren bringt es wenig.“