Weltweit behindert der Straßenverkehr die Bewegungsfreiheit von Wildtieren. Dann kehrte 2020 durch Corona-Lockdowns vorübergehend eine ungewohnte Ruhe ein. Pumas in Kalifornien sowie Tiere in aller Welt dehnten daraufhin ihre Streifzüge aus.

Chris Wilmers erinnert sich besonders gern an Puma 36m, dessen Erbe nun auch anderen zugute kommt. Das 36. im „Berglöwen-Projekt Santa Cruz“ besenderte Tier, ein großes Männchen (m), kreuzte vor einigen Jahren an der berüchtigten Laurel-Kurve nördlich der kalifornischen Stadt Santa Cruz den viel befahrenen Highway 17. „Danach bewegte 36m sich wochenlang kaum vom Fleck“, erzählt Wilmers. „Offenbar war er von einem Auto angefahren worden.“ Als der Wildtierökologe das Tier dann einfing, um das GPS-Halsband auszuwechseln, entdeckte er an dessen hinterer Flanke eine tellergroße, schon beinahe verheilte Wunde. „Unglaublich, dass er das überlebt hat.“

Anfang 2023 wurde an der Laurel-Kurve ein Wildtiertunnel eröffnet – für dessen Bau 36m beste Argumente geliefert hatte. Denn die Straßenschlaufe ist für Wildtiere besonders gefährlich, rund jeder zweite „Road Kill“ am Highway 17 ereignete sich bisher dort – nun leiten Zäune zu der Unterführung. Doch das Grundproblem bleibt: Die Fragmentierung der Landschaft und die menschliche Mobilität bedrohen unzählige Wildtierpopulationen – in Kalifornien und weltweit.

In den ersten Monaten des Jahres 2020 ließ der Verkehr jedoch schlagartig nach. In der Pandemie verhängten zahlreiche Länder Lockdowns – und eröffneten Tieren damit neue Perspektiven. Meldungen über Schakale in Tel Aviv, Kojoten in San Francisco oder Delfine im Hafen von Triest brachten Abwechslung in die düstere Zeit. Unklar war damals, ob beim scheinbaren Comeback der Natur nicht auch Sensationslust und genaueres Hinsehen eine Rolle spielten.

Nun zeigt eine Studie im Journal „Science“, dass die Ruhe das Tierverhalten tatsächlich vorübergehend veränderte. Ein Team von 175 internationalen Forschenden hat Bewegungsmuster von Landsäugetieren ausgewertet, die vor und während der Lockdowns GPS-Sender trugen. Die „Anthropopause“ wirkte wie ein großes Experiment. „Wir hätten nie die Genehmigung erhalten, der halben Welt zu sagen, dass sie zu Hause bleiben soll“, sagt Biostatistikerin und Hauptautorin Marlee Tucker von der Radboud Universität in Leiden in der empfehlenswerten Arte-Doku „Plötzlich Stille“. Ortungen von 2300 „Sendertieren“ aus 43 Arten auf vier Kontinenten flossen in die Analyse ein – eine riesige Datenmenge, die Muster erkennbar machte.

So legten die Tiere im Lockdown auf der Einstundenskala im Schnitt zwölf Prozent kürzere Strecken zurück – offenbar mussten sie seltener plötzlich flüchten, sie waren entspannter. Auf der Zehntagesskala dagegen liefen sie 73 Prozent weiter als im Vorjahr. Viele Tiere entdeckten neue „Korridore“, in stark menschlich geprägten Regionen hielten sie sich um 36 Prozent näher an Straßen auf. Auch Chris Wilmersʼ Pumas verhielten sich entsprechend: In der Karte sind GPS-Ortungen in stadtnahen Gebieten markiert, die sie sonst meiden.

In „Science“ fordert das Autorenteam nun, die negativen Folgen der menschlichen Mobilität auf die Tierwelt durch neue Verkehrskonzepte und -beschränkungen zu minimieren. Der Wildtiertunnel an der Laurel-Kurve wird, wie Videoaufnahmen belegen, gut angenommen. Als Erster lief jedoch kein Puma hindurch, sondern – auch schön – ein Rotluchs.